Starke Meinungen, 30. Mai 2012

Der große Graben

Jubel und Zorn - Israel polarisiert die deutsche Öffentlichkeit. Da kommt die Reise des Bundespräsidenten gerade recht

Israel. Schon das Wort allein reicht aus, um Deutschland zu spalten. Auf der einen Seite des abgrundtiefen Grabens stehen diejenigen, denen eine bloße Erwähnung des jüdischen Staates die Zornesröte ins Gesicht treibt. Für sie ist Israel ein Synonym für das Böse schlechthin. Dort treiben Besatzer, Menschenschinder und Kriegstreiber ihr Unwesen. Auf der anderen Seite befinden sich die Apologeten, die mit glänzenden Augen und Jubelrufen Israel hochleben lassen. Für sie ist das Land ein Ort der Sehnsucht, ein Hort des Guten, der Demokratie. Und zwischen diesen Fronten? Gähnendes Nichts!

Wie gut, dass es in dieser vertrackten Situation einen wie Joachim Gauck gibt. Wie gut, dass der Bundespräsident schon zwei Monate nach seinem Amtsantritt gen Jerusalem gereist ist. Wie gut, dass er tatsächlich ein Mann der weisen Worte zu sein scheint. Denn Gauck hat gleich zu Beginn seines Besuchs mit wenigen Sätzen klargemacht, worauf in den heiklen Beziehungen zwischen beiden Staaten zu achten ist: „Aus den Abgründen seiner Geschichte kommt Deutschland eine einzigartige Verantwortung gegenüber Israel zu.“ Das ist deutsche Staatsräson, also eine Selbstverständlichkeit.

Dabei beließ es der Staatschef allerdings nicht. Er redete gleichermaßen seinen Mitbürgern warnend ins Gewissen. Gerade die Deutschen sollten sich kritisch fragen, in welchem Geist sie über israelische Politik urteilten. „Doch bitte nur im Geist der Freundschaft. Da ist durchaus auch Platz für Kritik, nicht aber für Vorurteil.“ Treffende Worte, wichtige Worte, wahre Worte.

Denn erst jüngst hat die Kontroverse um das Grass-Gedicht erneut gezeigt: Jenseits aller offiziösen politischen Bekenntnisse ist der bundesrepublikanische Mainstream ziemlich anti-israelisch. Während sowohl Politik als auch Medien zu Recht die lyrischen Ergüsse als Unsinn bezeichneten, war der Zuspruch für den selbst ernannten Moralapostel in Leserbriefen und Internetforen immens. Der Tenor: Israel, nein danke. Wäre das nicht schon einseitig genug, kam in vielen Beiträgen ein antisemitisch grundierter Antizionismus mehr oder weniger unverhohlen zum Vorschein.

An dieser Grundstimmung wird auch Gaucks Besuch in Israel wenig ändern. Dabei müsste selbst dem blindwütigsten Gegner des jüdischen Staates auffallen, dass deutsche Politiker sich sehr wohl „trauen“, Jerusalem etwa wegen seiner Hartleibigkeit in der Siedlungsfrage zu kritisieren. Und auch der ehemalige Pfarrer Gauck wird im Gespräch mit Israels Regierungsvertretern nicht zu allem Ja und Amen gesagt haben.

Mehr noch. Zu den Grundfesten deutscher Außenpolitik zählt von jeher die Ausgewogenheit. Die Zwei-Staaten-Lösung, das Flüchtlingsproblem, der beschwerliche Alltag der Menschen – Berlin bemüht sich, es auch der palästinensischen Seite recht zu machen. Insofern ist Gaucks Fahrt nach Ramallah und Nablus am letzten Tag seines Aufenthalts im „heiligen Land“ keineswegs eine Ausnahme oder gar eine Wende im deutsch-israelischen Verhältnis, sondern eiserne Regel.

Warum auch nicht? Das eine tun, ohne das andere zu lassen – im mühsamen Alltag der Nahostpolitik heißt das für Deutschland: die Solidarität mit dem jüdischen Staat hochzuhalten, aber gleichzeitig Sorgen, Nöte und Wünsche der Palästinenser zu respektieren. Nur: Damit wird sich hierzulande der Graben zwischen Israel-Gegnern und Israel-Freunden kaum zuschütten lassen. Er bleibt groß und tief.

Kontakt

Dr. Christian Böhme
Journalist

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